Wer nach Island zieht, muss sich auf Einiges gefasst machen: ein Leben ohne Windstille. Mit dem Islandtief in unmittelbarer Nachbarschaft ist der Wind mit all seinen Facetten ein fast ständiger Begleiter.
Der isländisch-deutsche Schriftsteller Kristof Magnusson hat mal gesagt: „Die einzige Grundkonstante des isländischen Landes und Lebens ist die Veränderung“. Diese Aussage lässt sich auch perfekt auf das Wetter übertragen, welches sich durch die Luftströmungen ständig und sehr schnell verändert. Wo gerade noch die Sonne schien, kann es auf einmal hageln oder in Strömen regnen. Aber zwei Wochen Dauerregen mit grauem Himmel? Das kennen die Isländer nicht! Wer hier lebt, muss sich in Anpassung üben, auf jede Situation vorbereitet sein, sich abhärten und lernen, jegliche Wetterlage klaglos hinzunehmen. Wer mit dem Fahrrad früh zu Arbeit fährt, muss nicht unbedingt dem dem Fahrrad den Heimweg antreten. Ein altes isländisches Sprichwort sagt: „Wir haben kein Wetter, sondern nur Proben davon.“
Grund für diese starken Ausprägungen ist das sogenannte Islandtief, welches sich immer wieder neu südwestlich von Island bildet und auch das Wetter in Deutschland besonders in den Wintermonaten mitbestimmt. Das Islandtief entsteht durch das Zusammenströmen von kontinentalen Kaltluftmassen aus dem Westen und warmen Strömungen. Die Warmluft gleitet auf die Kaltluft, wobei es zu Verwirbelungen kommt. Für Island bedeutet dies oft große Niederschlagsmengen und Wind bis Orkanstärke.
Erst vor kurzem wurden in diesem Jahr (Januar, 2018) Rekordwindstärken von 70 m/s (252 km/h) im Hochland Islands gemessen. Zum Vergleich: die Windstärke 12 auf der Beaufort-Skala beschreibt einen Orkan von mit einer Stärke von 117 km/h oder mehr. Wäre diese Skala in Island erfunden wurden, wäre bei 12 noch lange nicht Schluß! Ein Orkan, der die Asphaltdecke von Straßen abhebt oder Autos sandbestrahlt? Oder die Frontscheiben von Fahrzeugen eindrückt? Alles schon passiert und Island und nicht einmal Einzelfälle!
Wer schon mal bei 30 m/s (108 km/h) versucht hat, gegen den Sturm zu laufen, weiß, dass er bei konstanter Windgeschwindigkeit im Grunde nicht umfallen kann. Immer wieder sieht man, wie sich Touristen regelrecht in den Wind „legen“ und ohne Anstrengung in die Schräge gehen. Manchmal fällt sogar das atmen schwer im Gegenwind. Wenn es dann noch schneit, regnet oder hagelt, fühlt man sich den Elementen restlos ausgeliefert. Ein Regenschirm ist oft zwecklos bei waagerrechtem Niederschlag. Wer mal einen fliegenden Wasserfall sehen möchte, ist in Island ebenfalls bestens aufgehoben. Mittlerweile werden sogar Schlechtwetter-Survival-Touren für verwöhnte Städter aus Ländern mit seichterem Klima angeboten. Damit auch diese mal an ihre Grenzen kommen!
Die Prägung durch den Wind zieht sich durch alle Bereiche des isländischen Lebens, von der Architektur, über die Sprache, Fortbewegung und Transport bis hin zu Sitten und Gebräuchen. Es gibt in der isländischen Sprache mehr als fünfzig Ausdrücke für Wind; kein Wunder: so wird der Alltag von ihm bestimmt, so wie der Alltag der Inuits von Schnee bestimmt wird. Diese haben sogar 100 verschiedene Wörter für Schnee. So gehören zwar nicht alle Wörter der nun folgenden Ausdrücke in den alltäglichen, isländischen Sprachgebrauch aber es gibt sie! Sie beschreiben den Wind in all seinen Ausprägungen:
Aftök, amrandi, andi, andvari, allhvasst, belgingur, beljandi, bosvindur, blástur, blær, brok, bræla, blökur, fjúkandi, fárviðri, gani, garður, garri, gola, gjóla, gjóna, gustur, gúlpur, hávaðrok, hvassviðri, hryssingur, illviðri, kaldakorn, kaldi, Kári, kjargrandi, kul, mannskaðaveður, njóður, ofsaveður, ofviðri, rok, rokbelgingur, sagandi, slaukvindi, snarpur, stinningsgola, stinningskaldi, stóristormur, stormur, stormbelgingur, stormsagandi, stórviðri, strekkingur, sveljandi, súgur, vindblær, vindflapur, vindur, þræsingur, öskurok.
In der Architektur setzt sich die Anpassung der Bevölkerung an die Naturgewalt Sturm weiter fort: Die Gebäude brauchen hier eine robuste „Schutzhülle“. Beton und Wellblech haben sich in diesem Zusammenhang am besten bewährt, wobei letzteres auch gerne nicht nur als Dachbedeckung sondern auch an den Hausseiten verwendet wird. Wird es jedoch nicht richtig befestigt, kann so ein herumfliegendes Dachstück bei einem Orkan auch richtig gefährlich werden! Selten findet man in Island an Gebäuden Fenster, die vollständig geöffnet werden können. Die meisten lassen sich nur einen spaltweit von unten öffnen und sind so befestigt, dass sich selbst das geöffnete Fenster bei Sturm nicht bewegen kann. Eingänge werden an die windabgewandte Seite geplant. Hier wurde am berühmten Höfði-Haus im Borgartún der Fehler begangen, den Ausgang nach Norden zum Meer hin auszurichten, was die Bewohner in den Wahnsinn trieb und später korrigiert werden musste.
Unwetter stellen uns im Alltag immer wieder vor neue Herausforderungen. Dazu gehört z.B. die Bewältigung des Schulweges besonders der jüngsten Jahrgänge. Bei ganz heftigem Sturm fällt die Schule manchmal ganz aus. Also sturmfrei anstelle von hitzefrei, besonders bei Schulen, die sich auf Anhöhen befinden. Auch hier ist auffällig, wie gut der Wetterdienst mit den Behörden zusammenarbeitet und die Informationen letztendlich bis zum Individuum gelangen. So bekommt man immer ganz aktuell eine Mail von der Schulleitung, die entweder die Schule gleich ganz ausfallen lässt oder zu besonderer Achtsamkeit oder zu einer Begleitung der Kinder auf dem Schulweg auffordert.
Reisende sollten sich also auf etwas gefasst machen, besonders wenn sie im Frühjahr und Herbst unterwegs sind. Der Wind macht nämlich mal gerne mal einen Strich durch die Reiseplanung. Dem Wind folgen andere Begleiterscheinungen wie Sandstürme und das nicht nur im Hochland! Gerade an der Südküste z.B. auf dem ausgedehnten Sander Skeiðarásandur, durch den die Ringstrasse als im Prinzip einzige Strasse unterhalb des Vatnajökull entlangführt, kann man in den Genuß einer Sandbestrahlung für das Fahrzeug kommen. Aus diesem Grund bieten die meisten isländischen Autoversicherungen eine meist zusätzliche SADW-Versicherung (Sand & Ash Damage Waiver) an. Diese hat weniger etwas mit aktuell stattfindenden Vulkanausbrüchen zu tun, sondern versichert gegen Schäden, die durch Sand oder von Vulkanausbrüchen verbliebener Asche verursacht werden. Die Frage, ob diese Versicherung wirklich notwendig ist, ist schwer zu beantworten. Wer vorausschauend fährt und jeden Tag gut vorbereitet, sollte von dieser Versicherung keinen Gebrauch machen müssen.
Man sollte unbedingt den Wetterbericht vor jeder Tagesetappe auf der Webseite www.vedur.is (auch auf Englisch) nachsehen oder man installiert sich gleich die App dazu und kann die wichtigsten Meldungen auf sein Smartphone bekommen. Neu sind die Warnstufen gelb, orange und rot die allgemeine Wetterwarnstufen sind, aber für die der Wind zumeist der wichtigste Einflußfaktor ist. Die organefarbene und rote Warnstufe sollte man auf jeden Fall ernst nehmen, denn diese werden nicht umsonst ausgerufen! Bei gelb ist auch Voricht geboten, jedoch ist diese recht oft anzutreffen. Eine weitere wichtige Seite die auch eine App bereitsstellt ist Safetravel.is. Hier erhalten Sie wichtige Warnungen (sogar auf deutsch), die Ihren Reiseverlauf beeinflussen könnten.
Gelb: Das Wetter kann ortsgebundene Auswirkungen haben, Verspätungen versursachen und bei Unachtsamkeit Unfälle und Schäden versursachen. Solches Wetter ist nicht ungewöhnlich, erfordert jedoch Obacht bei der Planung von Veranstaltungen und auf Reisen zwischen den Landesteilen. Kaum spürbare Auswirkungen auf die Infrastruktur/Dienstleitungen. Die gelbe Warnstufe kann auch bedeuten, dass eine kleine oder mittlere Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Wetter innerhalb der nächsten 3 bis 5 Tage Auswirkungen haben kann.
Orange: Es besteht mittlere Wahrscheinlichkeit, dass die vorherrschende Witterung Auswirkungen auf die Bevölkerung haben wird. Das Wetter kann zu Schäden/Unfällen führen und kann bei Unachtsamkeit möglicherweise lebensbedrohlich sein. Einschränkungen im Verkehr und in der Infrastruktur/Dienstleistungen zeitlich/ortsgebunden. Diese Art der Witterung kommt mehrmals im Jahr vor.
Rot: Eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit erheblicher Auswirkungen des Wetters auf die Bevölkerung. Besonders gefährliche Witterungebedingungen sind vorausgesagt. Es kann mit großen Schäden gerechnet werden und mit hoher Unfallwahrscheinlichkeit. Der Stillstand des Verkehrs und der Einschränkung des Zuganges zu Infrastruktur/Dienstleitungen wird erwartet.
Es lohnt sich auch auf der Wetterseite die Karte zur Windvorhersage anzuschauen. Island ist eine recht große Insel und das Wetter ändert sich schnell. So können die Bedingungen in den einzelnen Landesteilen zuweilen recht unterschiedlich sein. Die Windkarte zeigt nicht nur die Windrichtung sondern auch die Windstärke in m/s zu einer bestimmten Zeit. Während grün und blau noch harmlos sind, sollten Reisende bei lila, rot und den anderen Farben weiter rechts auf der Skala genau prüfen, ob sie fahren, wo sie entlangfahren und wann. Manchmal kann man dem Wind auch zeitlich ausweichen indem man eher bzw. ein paar Stunden später losfährt.
Hier sieht man im Norden größtenteils eine ruhige Wetterlage, während im Süden ein kleines Sturmtief vorüberzieht.
Ein paar Stunden später sieht es im Land aber schon so aus:
Das Sturmtief zieht ins Inland in Richtung Norden mit Windstärken bis zu 34 m/s.
Sollten Sie schon losgefahren sein, dann achten Sie auch unbedingt immer auf folgende Straßenschilder, die ebenfalls auf die Windgeschwindigkeit von bevorstehenden, meist besonders exponierten Stellen anzeigen. Ist in dem Kästchen recht eine rote Zahl zu sehen, ist besondere Vorsicht geboten!
Zusätzlich kann man auch beim isländischen Straßenamt Vegagerðin nachsehen, wenn man die Windgeschwindigkeiten auf bestimmten Straßennabschnitten überprüfen möchte. Bei wirklich schwerwiegendem Unwetter kann man davon ausgehen, dass einzelne Strassenabschnitte vom Verkehrsamt gesperrt werden. Typische Strecken sind auch, die, die nach Reykjavik führen wie Þrengslið und die Hochebenen Hellisheiði und Mosfellsheiði. Aber auch die Strecke zwischen þingvellir und Geysir, die Lyngdalsheiði, gehört dazu. Hinzu gesellt sich gerne das Gebiet unter dem Eyjafjallajökull und Kjalarnes im Westen. Diese Sperrungen dauern meist nur so lange an, bis das schlimmste Unwetter vorübergezogen ist; meist sind es nur einige Stunden bis der Verkehr wieder normal läuft. Im Winter kommen solche Sperrungen regelmäßig vor, denn dann kommt manchmal Schneegestöber mit schlechter Sicht erschwerend hinzu. Das Straßenamt arbeitet erstaunlich schnell und effektiv bei der Räumung. Die Ringstraße sowie die großen Hauptstraßen in Reykjavik haben dabei immer oberste Priorität. Den Zustand der Straßen kann man bei Vegagerðin anhand von Karten sehen oder die Nummer 1777 anrufen und eine bestimmte Strecke erfragen falls man keine Internetverbindung unterwegs hat und Zweifel hegt.
Besonders aufpassen sollten Wohnmobilreisende, da der Wind hier erst recht eine große Angriffsfläche vorfindet. Hier sollte man schon bei 15 m/s lieber einen Standtag einlegen. Überhaupt sollte man wirklich nur im Sommer (Juni bis ca. Mitte September) mit dem Wohnmobil reisen, ansonsten läuft man eher Gefahr, in eine Sturmlage zu geraten. Besonders im Winter treten die Stürme, dann oft als Schneestürme, gehäuft auf. An einigen „prominenten“ Stellen wie unterhalb des Berges Ingólfsfjall, Hafnarfjall oder unter dem Eyjafjallajökull fegt es fast jedes Jahr Wohnmobile aber auch kleinere PWK durch starke, meist abprupt auftretende Windböen von der Ringstrasse. Die Windböen kommen an den Hängen erst richtig in Fahrt. Auch in Schneisen, z.B. zwischen zwei Bergen kann sich der Wind bündeln und zu unglaublicher Kraft gelangen. Hier sollte man bei der Fahrt unbedingt auf die Struktur des angrenzenden Geländes achten und so einer Überraschung vorbeugen. Besonders sollte man auch bei windigem Wetter beim Öffnen der Fahrzeugtüren aufpassen. Da diese auch gern wegfliegen, sollte man sich generell angewöhnen, die Türen nie offen stehen zu lassen.
Obwohl die Nr. 1 Islands “Hauptstrasse” ist, hat diese meist keinen oder nur ein sehr kleinen Randstreifen und liegt an vielen Stellen etwas höher als das angrenzende Gelände. Wenn sich dann noch ein scharfkantiges Lavafeld dem Straßenrand anschließt, ist eine unschöne Landung vorprogrammiert. Auch müssen sich Fahrer von Wohnmobilen besonders bei Gegenverkehr konzentrieren der auf den engen Straßen recht nah an das eigene Fahrzeug herankommt und dabei ein zuweilen recht starker Luftdruck zwischen den Fahrzeugflächen aufgebaut wird. Da kann man schnell ins Schlingern geraten!
Wer im Winter unterwegs ist, sollte für alle Strecken ein wenig mehr Zeit einplanen. Auch sollte man sich mit einem Allradwagen ausstatten, der auch etwas weiter höher über dem Boden liegt. In kürzester Zeit kann sich bei einem Schneegestöber zuweilen sehr viel Schnee innerhalb von kurzer Zeit anhäufen und Autos mit geringem Fahrbahnabstand schnell festfahren. Auch Verwehungen sind häufig, so dass sich der Schnee vor einem Hindernis aufschichten kann. Eine geniale Erfindung sind in diesem Zusammenhang die sogenannten “Vetrarvegur” – Winterwege. Dies sind kurze, erhöhte Straßenabschnitte bzw. Ausbuchtungen parallel zur Fahrbahn, die an den typischen Schneeanhäufungen vorbeiführen. Die Fahrzeuge innerhalb unserer Winterreisen verfügen alle über gute Winterreifen mit Spikes. Busse und Lastwagen führen im Winter auch Schneeketten mit. Von Rundreisen rund um die Insel im Winter raten wir generell ab, da die hier oft spontan umgeplant werden muss.
Der Wind und die Stürme möchten in Island respektiert werden. Mit ein bisschen Vorbereitung lässt es sich aber mit den Urgewalten leben. Island kann eben nicht immer nur reibungslos bereist werden sondern muss manchmal eben auch bezwungen werden. Und da kann ein wenig Nervenkitzel nicht schaden, oder? Auch kann ein stürmischer Tag in einem gemütlichen Gästehaus bzw. Ferienhaus oder einfach zu Hause durchaus in Ruhe genossen werden: mit gutem Essen und guter Lektüre kann man dem Unwetter sogar noch etwas abgewinnen.
Text: Anne Steinbrenner