Wir sprechen mit Hörður Erlingsson, dem Gründer von Erlingsson Naturreisen über den Anfang des Unternehmens aber auch den Anfang den Tourismus allgemein in Island, sein Leben, Zukunftsaussichten und was ihm die Arbeit in der Reisebranche bedeutet.
Dazu muss ich zunächst sagen, dass ich damals schon sechs Jahre in Deutschland Soziologie und Volkswirtschaft studiert hatte. Vorher hatte ich in Island deutsch auf dem Gymnasium gehabt und daher waren die Sprachkenntnisse kein Hindernis. Angefangen mit der Reiseleitung hab ich im Jahre 1972 als 23-jähriger und zwar für ein deutsches Unternehmen in Starnberg bei München mit dem heute vielleicht etwas arrogant anmutenden Titel “Institut für wissenschaftliches Reisen” oder auch “Fahrtenring”. Gerade um diese Zeit herum wurden die Wanderreisen oder zumindest Rundreisen mit Wanderungen immer beliebter. Nach einer ersten gelungenen Reise hat mich der Direktor von Fahrtenring Doktor Bauer gebeten, solche Wanderreisen für Island zu planen. Er hat mich für einen Sommer nach Hause nach Island geschickt, damit ich mir Wanderreisen ausdenken und organisieren konnte. Ich bin dann mit meinen Jeep die Reisen gefahren, habe die Wanderungen alle ausprobiert und die Unterkünfte besucht. Meine Landsleute konnten das gar nicht verstehen. Isländer sind zu dieser Zeit einfach nicht gewandert. Ich habe versucht, mich in bestimmte Situationen hineinzuversetzen, die für mich als Einheimischen Gewohnheit sind, für die Gäste aber ungewöhnlich. Alleine die Wetterverhältnisse sind schon sehr wichtig.
Betreut wurden meine Reisen zunächst von staatlichen Unternehmen und Busgenossenschaften von Fahrtenring. Bald hat mir Doktor Bauer angeboten, die Buchungen und die Reisen selbst zu machen. Die offizielle Erlaubnis kam allerdings erst ein paar Jahre später im Jahre 1980. Vorher gab es dafür einfach keine Gesetze.
Ich habe schnell mitbekommen, dass die Natur bei meinen isländischen Mitstreitern überwiegend durch die Busfenster erlebt wurde. Bei den deutschen Kunden kam es dann bald zu Beschwerden aufgrund des vielen Sitzens. Zunächst habe ich meine Reisen Island Tours genannt, weil es neutral klang und ich auch andere Nationen damit ansprechen wollte. Aber es war die isländische Natur, die der Hauptanziehungspunkt für die Reisen nach Island war, daher war der Name “Naturreisen” fast schon selbstverständlich. Dr. Bauer hatte mir geraten, zusätzlich meinen Namen mit einzubauen um Vertrauen zu wecken und so ist “Erlingsson Naturreisen” daraus geworden.
Das ländliche Leben und die Natur haben mich geprägt. Ich bin zwar in Reykjavík aufgewachsen, habe aber alle meine Sommer auf dem Lande bei Flúðir im Süden Islands verbracht. Meine Großeltern wohnten da in der Nähe und meine Mutter ist dort aufgewachsen. Dort habe ich die Vogelwelt gut kennengelernt, geangelt und reiten gelernt. Auch habe ich immer die Kühe von der Weide geholt.
Als ich aus dem Ausland zurückkam und wieder in Reykjavík ansässig wurde, habe ich mir gleich zwei Pferde gekauft; das war meine erste Investition. Die standen in einem Stall in der Nähe von Reykjavík und dort konnten ich und meine jungen Töchter reiten. Das war allerdings auch eine Wahnsinns Arbeit mit den Pferden!
Meine allererste Reise war mit einer deutschen Gruppe die ich in Hamburg in Empfang nahm. Mit dieser bin ich über Kopenhagen gefahren wo wir die Stadt besichtigten. Von dort ging es mit der MS Gullfoss, dem einzigen isländischen Passagierfrachter nach Edinburgh und nach Reykjavík, zwischendurch mit einem Halt auf den Färöern. In Island begann dann eine 14-tägige Reise, insgesamt waren aber 21 Tage. Die Reisen waren damals richtig lang. Mit dem Flugzeug ging es anschließend wieder nach Deutschland zurück.
Meine Gruppe bestand ausschließlich aus älteren Herrschaften; ich war mit 23 mit Abstand der jüngste! Viele hatten Doktortitel oder einen Lehrberuf. Zum Glück waren Geschichte und Geologie meine Lieblingsfächer in der Schule. Das war damals noch keine richtige Wanderreise, die gab es damals noch nicht. Es war eine Busreise mit Zeit für Naturbeobachtungen aber keine Rundreise um die Insel, weil es die Ringstrasse damals noch nicht gab. Wir waren nur im Norden und Süden, aber auch im Hochland. Das war eine gelungene Reise und ich habe viel gelernt unterwegs.
Isländern kam damals gar nicht in den Sinn wandern zu gehen und meine Landesgenossen haben mich immer gefragt, ob sie mich mit dem Auto mitnehmen sollen. Meine Kollegen sind mit den Touristen von einem Zeltplatz zu anderen gefahren. Das waren meist Busfahrer, die so begeistert von den neuen Strassen waren und darüber hinaus die Natur ganz vergaßen. Ich hingegen habe immer versucht, die Leute aus dem Bus zu bekommen und habe auch Wert auf gute Hotels gelegt, am besten mit Hot Pot, damit wir tagsüber bei jedem Wetter wandern konnten und nachts im Trockenen waren. Das andere war das Essen. Es wurde immer Lamm serviert, da dies bei den Isländern als Sonntagsessen galt. Es hat ein bisschen gedauert bis die Restaurants begriffen haben, dass Ausländer es gerade auf den frischen Fisch abgesehen hatten; bei den Isländern damals ein Alltagsessen, was man keinem Ausländer zumuten wollte.
Die Touren waren immer ein großes Abenteuer für die Reisenden und ein langer Arbeitstag für mich. Ich saß immer mit der Gruppe am Abend zusammen und habe ihnen beigebracht, isländische Spezialitäten wie Trockenfisch und Walspeck zu essen und dazu Brennivín, isländischen Schnaps zu trinken. Das kam sehr gut an und alle sind friedlich eingeschlafen.
Ich hatte auch viel Interesse an der Vogelwelt was auch die Touristen interessiert hat. Worauf ich auch immer Wert gelegt habe, war das Baden in den heißen, natürlichen Quellen. Ich bin selbst mit dem heißen Wasser aufgewachsen. Am Hof bei Flúðir wo ich die Sommer meiner Kindheit verbrachte, gab es in der Nähe die Quelle Hrunalaug und dort war ich oft baden. Ich kam sehr früh in Kontakt mit dem warmen Wasser und das ist auch heute noch ein Teil meines Lebens und vieler anderer Isländer. Das habe ich versucht den Leuten zu vermitteln. Es war nicht immer einfach die Gruppe zu überzeugen aber wenn erst einmal der Reiseleiter selbst in die heissen Quellen gestiegen ist, waren alle bereit, auch wenn wir uns manchmal hinter einem Stein unter freiem Himmel umkleiden mussten.
Die Reisen waren ja keine Rundreisen ganz am Anfang. Die Infrastruktur hat sich unglaublich entwickelt. Die Ringstraße kam erst 1974 mit der Brücke am Skeiðarársandur und ich brauchte alleine für die Südküste drei Tage mit Beobachtungen und Wanderungen. Das schaffe ich heute an einem Tag. Da waren einige Flussüberquerungen mit dabei. Als wir im Bus ein Telefon bekamen, war das eine Revolution, da konnte ich das Abendessen schon mal anmelden im Hotel. Gerade in der Þórsmörk konnte ich dann die Hüttenwärter vorher anrufen, um zu sehen, wie der Wasserstand in den Flüssen ist.
Ich habe schnell gelernt, zum Beispiel bei Stöng im Þórsádalur, bei Flussüberquerungen die Leute auf dem Rücken zu tragen, das ging manchmal viel besser! Auch kann ich mich daran erinnern, dass wir bei einer Vogelreise immer die Schneeeule gesucht haben, die ja äußerst selten ist. Plötzlich meinte jemand: “Herr Erlingsson, da fliegt ein Singschwan ohne Kopf!” und tatsächlich war es eine Schneeeule. Ich habe in den ersten Semesterferien bei Icelandair in der Buchungsabteilung gejobbt und war darüber auch selbst Reiseleiter für amerikanischen Gruppen. Am Gullfoss wurde ich von einem Teilnehmer allen ernstes gefragt, ob das Wasser hier im Winter abgestellt um zu sparen!
Ich habe viele Berufe ausgeübt und habe mich in Deutschland immer geschämt mich zu bewerben. In Deutschland waren die vielen verschiedenen Erfahrungen nicht immer angesehen!
Es gab eine Zeit, wo ich viel gereist bin und keine Zeit für etwas anderes hatte. Die Sommer war ich in Island und in den Wintermonaten habe ich andere Reisebüros in Deutschland, Italien und der Schweiz besucht. Als ich dann in Island war, habe ich freiberuflich beim Rundfunk und im Fernsehen gearbeitet. Dort habe ich Dokumentarfilme gedreht. Die Sendereihe nannte ich “Saga og Samtíð”, oder “Geschichte und Gegenwart”. Ich habe unter anderem den Bauern bei Hof in der abgeschiedenen Region Öræfi interviewt, als gerade die Brücke über den riesigen Sander Skeiðarásandur als letztes Stück der Ringstraße gebaut wurde. Ich fragte ihn, ob es nicht schön sei, dass nun alle an seinem Hof vorbeikommen und er nun an der großen Welt teilnehmen konnte. „Nein Hörður, es ist genau das Gegenteil. Früher, als die Leute mit den Pferden unterwegs waren, haben alle an meinem Hof angehalten. Jetzt rasen alle nur in ihren Autos vorbei.“
Ich habe mich auch sehr für alte Gegenstände interessiert und habe diese gefilmt. Diese waren in der Öræfi-Gegend sehr schwer zu finden, was ich nicht verstehen konnte. Die Erklärung des Bauerns war, dass das “alte Zeug” oder isl. gamla draslið, verbrannt wurde als die Technik und die Autos kamen. Für diese Region kam die Zivilisation quasi von einem Tag auf den anderen, wohingegen sich andere Regionen in Island etwas langsamer daran gewöhnen konnten.
Bevor ich aber wirklich in Island sesshaft wurde, ging ich für meine Diplomarbeit in der Soziologie und Volkswirtschaft nach Kanada. Mein Soziologie-Professor war auch Ethnologe und er kam auf die Idee, so wie es der Zufall will. Er hatte in Manitoba Untersuchungen zur Religion der Mennoniten gemacht. Genau in diesem Teil bei Winnipeg waren auch viele Isländer, die 1875 bis 1914 ausgewandert sind. Er hatte eigene Theorien über die Schwierigkeiten der Anpassung von Minderheiten, was ja heute auch noch hochaktuell ist. Also hat er mich dorthin geschickt, um die Isländer dort zu studieren. Ich bin in die isländischen Gebiete gereist am Lake Winnipeg und Island Hekla, ein aus Island übernommener Name. Die älteren Isländer konnten damals auch noch gut isländisch. Dort konnte ich seine Theorien an den Isländern überprüfen und vergleichen. Fast zwei Jahre blieb ich dort. Danach kam ich eigentlich erst ganz nach Island.
Als die Familie kam war ich mit den zwei ältesten Töchtern und meiner Frau Magdalena in Deutschland für zwei Jahre wo sie auch studiert hat. Magdalena war Historikerin, isländische Politikerin und Redakteurin der isländischen Frauenzeitschrift Vera, die mit der deutschen Zeitschrift Emma vergleichbar ist. Magdalena ist leider an Krebs verstorben mit nur 45 Jahren. Da war auch unsere dritte Tochter im Kindesalter. Meine zweite und jetzige Frau Erna ist Krankenschwester und seit diesem Jahr Projektleiterin beim Landeskrankenhaus. Bis dahin war sie 8 Jahre lang Personalleiterin bei Erlingsson Naturreisen und davor arbeitete sie für den Pharmakonzern Pfizer. Mit ihr bekam ich auch eine Tochter mitsamt erwachsener Stieftochter. Erna ist eine begeisterte Wanderin die vor allem das Abenteuer sucht und das wilde Hochland liebt.
Angekommen in Island war ich dann beim Radio und Fernsehen. In Island wurde um 1980 die Oper gegründet wo meine Schwester gesungen hat und im Vorstand saß. Sie hatte vorher auch in München studiert und zwar Musik. Es war eine private Gruppe ohne staatliche Unterstützung und eigentlich fast immer pleite. Ich sollte die Finanzen dort übernehmen und Geld anschaffen, oder besser, ich war dort Pressesprecher und später technischer Direktor. Meine Aufgabe war es auch, die Oper bekannt zu machen. In den Sommermonaten habe ich angefangen, Programme für Touristen anzubieten in den obersten Stockwerken der Oper. Dort habe ich eine Galerie eingerichtet mit schönen Bildern. In der Pause habe ich Pfannkuchen mit Sahne auf dem Balkon verkauft. Das waren Musik- und Filmprogramme über isländische Vulkanausbrüche. Dazu hat der Chor gesungen. Das ging gut zwei bis drei Jahre. Dann wurde ich aber der unbeliebteste Mann im Hause, weil ich den Chor immer am Wochenende am Abend beschäftigt hatte für die Touristen und immer genau dann, wenn die Chormitglieder zum Wochenende aufs Land fahren wollten. Ich war 8 Jahre bei der Oper und konnte in den Wintern immer zusätzlich für mein Reisebüro arbeiten. Das war meine schönste Arbeit bei der Oper und hat unheimlich viel Spaß gemacht. Zum Schluss bekamen wir staatliche Unterstützung und es war Zeit für mich aufzuhören.
Die Arbeit im Tourismus wird nie langweilig und schon gar nicht in Island. Die isländische Natur ist so einmalig in der Welt. Ich musste auch immer neue Reisen entwickeln und habe viele davon selbst geleitet. Ein gutes Beispiel dafür ist die Engler- oder später Islandkenner-Gruppe, die es schon seit 30 Jahren gibt. Das sind Islandliebhaber, die jedes Jahr herkommen, sich hervorragend auskennen und immer etwas Neues erleben möchten. Angefangen hat es mit Gertrud Engler die 1979 zu mir kam, als ich noch in München gelebt habe. Sie war schon öfter auf den Standardreisen dabei und wollte unbedingt auch andere Regionen der Insel kennenlernen. Es war damals eine kleine Gruppe, überwiegend Lehrer, und es sprach sich schnell herum. Für mich hieß das, dass ich jedes Jahr eine neue Reise entwerfen musste, am besten mit ausgedehnten Spaziergängen und viel in der Natur. Lange blieb die Engler-Gruppe für sich aber vor ca. 10 Jahren kamen auch andere weitere Teilnehmer hinzu, weshalb diese Gruppe nun „Island für Fortgeschrittene“ oder „Die Islandkenner“ heißt.
Wenn ich auf die letzten 40 Jahre zurückblicke, bin ich die “normale” Rundreise rund um Island sicherlich mehr als 80 mal gefahren. Für die Islandkenner musste ich aber immer wieder neue Wandergebiete finden. So habe ich z.B. mit meiner Frau Erna Wanderwege am Hagavatn an den Jarlhettur, unweit vom Gletscher Langjökull ausprobiert. Auf diese Art kam ich zu Abwechslung und es war eine wichtige Herausforderung immer neue Schwerpunkte zu finden und der Neugier der Leute entgegenzukommen. Ich habe auch immer versucht, den direkten Wünschen der Gruppe nachzukommen. Aber diese Reisen wurden später manchmal auch zielführend für die Zukunft, wie z.B. die Idee, kleinere Gebiete intensiver zu erforschen. So haben wir z.B. knapp zwei Wochen lang nur die nördliche Region Tröllaskagi, Vatnsnes und Skagi und den Nordosten mit Melrakkaslétta und Langanes erkundet. Bei einer anderen Reise waren wir eine ganze Woche lang am Mývatn, anstelle von üblicherweise nur zwei Tagen. Oder wir sind von Neskaupstaðir mit einem Boot in die umliegenden Fjorde wie den Hellisfjörður gesegelt.
Die Engler-Gruppe hat sich auch weiter in Deutschland getroffen in unterschiedlichen Orten und dort wurden auch die Wünsche für die nächste Reise besprochen. Ich bin dort auch öfter dabeigewesen. Da war das Internet noch nicht so aktiv.
Das stimmt, das war so um das Jahr 1999 herum. Die Mietwagenreisen bauten auf den Erfahrungen auf, die ich mit den Gruppen gemacht hatte, vor allem, was die Wanderungen und Unterkünfte betrifft. Der einzige Unterschied für die Selbstfahrer war, dass ich die Route so gelegt hatte und die Wanderungen so empfohlen hatte, dass man sich nicht verfahren oder verlaufen oder die Orientierung verlieren konnte. Anfangs gab es kaum Touristen, die es sich zugetraut haben, selbst zu fahren und Gruppenreisen waren üblich. Dann haben die Leute aber in anderen Teilen der Welt gelernt selbst zu reisen und konnten Island auch selbst bewältigen. Ohne Reiseleiter mussten die Reisen aber wie gesagt so aufgebaut werden, dass sie diese auch alleine fahren und wandern konnten. So musste man auf kulturelle Stellen wie Museen hinweisen und auch Hinweise geben, wie man im Hochland die Flüsse durchquert. Damals hatte man noch kein GPS oder Internet unterwegs, man musste sich daher ganz anders und viel intensiver vorbereiten als heute. Für die Büroarbeit bedeutete dies viel mehr Arbeit, da nun jeder Einzelne beraten und betreut werden musste, was aber absolut wichtig war. Auch die Buchung war ein größerer Aufwand, da man für 2 Personen fast genauso lange Buchungszeit braucht wie für eine ganze Gruppe.
Die Informationen und die Bequemlichkeit. Unsere Reiseleiter sprechen alle fließend deutsch und haben die amtliche Prüfung zum Reiseleiter abgelegt. Und dann haben wir auch Spezialisten für Vogelreisen oder Geologische Reisen und Musik- und Kulturreisen. Das kann nicht durch einen Reiseführer ersetzt werden. Auch natürlich die Bekanntschaften die man in der Gruppe macht.
Wir haben ja gratis Werbung bekommen durch den Ausbruch des Eyjafjallajökull (Aussprache: äj—ja—fjat—la—jöö—kü—tl.) im Jahre 2010. Damit erschien Island für viele erstmals auf der Weltkarte. Das war der spannendste Ausbruch und ich hatte das Glück, mit 15 Schweizer Geologen gerade zu dieser Zeit unterwegs sein zu dürfen. Ich bin mit der Gruppe in die Þórsmörk gefahren, also direkt an den Fuß des Vulkans, wo wir ein Flugzeug gemietet haben. Während die ganze Welt lahmgelegt wurde, sind wir direkt über den Ausbruch geflogen.
Am Anfang waren es vor allem die Wanderfreunde, die an den Studien- oder auch Wanderreisen teilgenommen haben. Damals hatte Island nur eine einfache Infrastruktur mit Hotels, die nur im Sommer geöffnet waren, aber eigentlich im Winter Internate für isländische Schüler und Studenten waren. Die Zimmer hatten keine eigene Dusche oder Toilette und waren im eigentlichen Sinne kein Hotel sondern eher Studentenquartiere. Das reichte damals völlig aus. Die Reisenden wollten ein gutes, sauberes, einfaches Hotel mit reichlichen Mahlzeiten. Fünf-Sterne Hotels waren damals nicht gefragt außer vielleicht von wohlhabenden Amerikanern die Reykjavík besuchten. Heute sind Zimmer ohne DU/WC bei einem bestimmten Klientel so gut wie unverkäuflich. Und das Essen ist auch eindeutig vielseitiger geworden. Damals ging es den Leuten in erster Linie um die Natur. Die ersten Statistiken zum Tourismus in Island ergaben alle, dass die Natur bei den Europäern an erster Stellen steht. Das hat ja auch zur Namensgebung „Naturreisen“ beigetragen.
Heute stört es mich, dass die Leute nicht mehr auf die Natur schauen sondern mehr in ihr Telefon. Ich weiß nicht, was da drin steht, denke aber, die Leute früher waren besser informiert und haben gute Reisebücher gelesen. Reiseführer sieht man heute kaum noch im Bus. Der Mensch im allgemeinen, das gilt nicht für mein Klientel, haben diesen schrecklichen Hang zur Selbstdarstellung. Sie wollen nicht mehr wissen, wie hoch der Skogafoss ist, sondern nur ein Selfie vor dem Wasserfall. Das ist sehr schade. Ich bin Bussen und Gruppen begegnet, die nach einem Halt gleich die Gardinen zuziehen um bis zum nächsten Halt schlafen zu können. Ich sage hier bewusst nicht, um welche Nationen es sich hier handelt. Mit den Reiseleitern mit solchen Gruppen habe ich Mitleid. Früher war ich als unhöflich bekannt, wenn die Leute eingeschlafen sind und ich sie zur Frischluftpause aufgerufen haben. Das war nicht bei allen gleich beliebt!
Island ist einfach so einmalig und die Natur wird immer ausländische Gäste anziehen. An jedem Tag kann man etwas anderes erleben, ob nun die Gletscherwelt mit Eisbergen, Fjordlandschaften, Lavafelder…, So kann man an 10 Tagen so verschiedene Dinge erleben, wie es in keinem anderen europäischen Land auf so kleinem Raum möglich ist. Der Vulkanismus bringt unendliche Variationen und Formen hervor, Schluchten, Vulkantypen und Lava. Aber nicht nur landschaftlich oder geologisch hat Island viel zu bieten sondern auch kulturell und historisch.
Was uns zunächst etwas bremsen wird sind die Billigflieger, die wahrscheinlich noch nicht so schnell wiederkommen werden. Das bedeutet, die Masse wird hier so schnell nicht herkommen aufgrund der Flugpreise.
Vielleicht suchen die Leute nach Covid auch vielseitige Destination in Island auf und auch Island tut derzeit viel, um auf andere Gebiete aufmerksam zu machen. Bald soll auch ein riesiger Hochland-Nationalpark entstehen, der größte in Europa. Das ist eine schöne Idee. Ein anderer Nationalpark soll im kommenden Jahr in den südlichen Westfjorden gegründet werden. Es gibt so viele andere Dinge als nur Gullfoss und Geysir, aber zur Frage zurück: der Tourismus kommt mit Sicherheit wieder.
Die Situation was Covid betrifft hat sich in den letzten Tagen hier in Island zum guten gewandelt. Island ist kein Risikoland und hat nur ganz niedrige Infektionszahlen. Durch die baldige Impfung sind wir optimistisch und der Sommer vermutlich ganz gut aussehen. Die Isländer sind weniger skeptisch was die Impfung betrifft. Unsere Reisen für den kommenden Sommer sind schon alle im Internet zu finden.
Das Hauptmerkmal sollte die Natur bleiben. Wir, die Isländer, müssen unsere Hausaufgaben machen und entscheiden, wie wir unsere einmalige Landschaft schützen wollen. Wir sollten mehr ins Programm nehmen, z.B. gibt es Dutzende von schönen Wasserfällen; es muss nicht unbedingt Gullfoss und Geysir sein. Und ein großer Fokus sollte auf der Information der Touristen liegen, das gilt nicht nur für die Offroad-Fahrer die mit der Fähre kommen. Die Spuren im Hochland bleiben jahrzehntelang bestehen, aber geht oft auf Unwissenheit zurück. Wir haben hier in der Vergangenheit gesehen wie das aussah mit 2,5 Millionen Gästen in Island. Viele waren schlecht informiert und sind direkt auf die Highlights zugesteuert. Das kann man mit besseren Information und Ratschlägen ändern und auch spannende, abgelegene Stellen empfehlen. Ein gutes Beispiel für Wanderer ist die Halbinsel Reykjanes, die wie eine Miniatur-Ausgabe der Landschaft des Hochland ist und das direkt an der Haustür von Reykjavík. Noch rasen alle vorbei. Es gibt so viele Wege, die nicht bekannt sind und viele gute Schotterstrassen abseits. Die Ostfjorde sind komischerweise gar nicht so beliebt, dabei gibt es dort endlos viele Wandermöglichkeiten. Oder Langanes und Melrakkaslétta. Oder eben nicht über die Öxnadalsheiði sondern rund um Tröllaskagi auf guten Strassen.
Es wird nie langweilig. Offiziell bin ich ja seit 8 Jahren im Ruhestand aber dennoch voll dabei. Selbst das Covid-Jahr hat mir noch Spaß gemacht, allerdings war es ein bisschen schade, weil ich nicht so viel unterwegs sein konnte. Ich bin gerne unterwegs, manchmal auch alleine, und entdecke neue Wanderwege, das Wetter ist immer anders. Es ist diese unendliche Vielfalt und die neuen Menschen oder auch alte Bekannte, die für mich den Unterschied machen. Ich könnte mir nichts anderes vorstellen!
Interview vom Dezember 2020