Wenn Sie das Polarlicht bisher noch nicht erleben konnten, kann dies mehrere Gründe haben. Erst einmal: setzen Sie Ihre Erwartungen nicht zu hoch an. Denn in Island zu sein bedeutet noch lange kein Freischein ins Nordlichttheater. Im Süden Islands sieht man zwar laut Aussagen des Rangá Hotels, die seit Jahren kontinuierliche Beobachtungen durchführen, in einer von drei Nächten das Nordlicht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man bei einer Aufenthaltsdauer von drei Nächten die Leuchterscheinung mindestens einmal sehen kann. Man kann sie vielleicht an allen drei Nächten sehen oder auch gar nicht.
Das Wichtigste bei der Suche ist Geduld und natürlich warme Kleidung. Nordlichtnächte sind oft sehr kalt – denn nur wenn es keine oder wenige Wolken am Himmel gibt, ist die Sicht auf die Nordlichter ungetrübt. Die Wolken sind aber auch eine Art Wärmedecke und ohne diese bekommen wir, zumindest schlecht gekleidet, schnell eine Gänsehaut. Das Wetter spielt also eine zentrale Rolle wenn auch nicht für das Vorkommen der Nordlichter an sich, aber zumindest darauf, ob wir sie zu sehen bekommen. Es liegt also an uns, einen wolkenfreien Ort aufzusuchen, was uns anhand der Wolkenvorhersage des isländischen Wetteramtes erleichtert wird. So erscheint z.B. um 18 Uhr eine neue Version der Wolkenbedeckungskarte an welcher wir uns orientieren können. Auch sollten wir in eine Umgebung fahren mit möglichst geringer Lichtverschmutzung wobei natürlich auch geringes Mondlicht von Vorteil ist. Erwarten kann man das Polarlicht meist um Mitternacht wobei man es manchmal sogar bereits beim Einbruch der Dunkelheit beobachten kann. Die Sicht in die nördliche Richtung sollte möglichst ungehindert und frei von hohen Bergen sein. Nur starkes Nordlicht bewegt sich über unsere Köpfe oder auch südlich von uns. Hat man diesen wolkenfreien Ort mit freier Sicht in dunkler Umgebung gefunden, ist dies dennoch keine Garantie. Allerdings weiß man immerhin, dass sich das Frieren und Warten durchaus lohnen kann.
Viele Emotionen konnte ich während meiner Tätigkeit als Nordlicht-Guide erleben: von purer Enttäuschung an nordlichtfreien Nächten bis hin zu jubelnden Touristen, denen vor Glück die Tränen kamen, die unter dem Nordlicht tanzten und sangen. Unter ihnen gab es regelrechte Nordlichtjäger, die mit riesigen Objektiven bewaffnet die nördlichen Länder bereisten und Nacht für Nacht nach einem größeren Triumph suchten. Andere haben sich ebenfalls viele Nächte um die Ohren geschlagen und konnten dennoch nicht Ihre Iceland-To-Do-Liste abhaken. Die Aurora borealis ist eine faszinierende aber eben auch launische Erscheinung. Wer nach Island kommt, sollte die Nordlichtbeobachtung nicht als einzigen Grund für den Besuch der Insel haben. Doch auch eine gute Nachricht: ein Zufall ist das Nordlicht nicht und es kann, zumindest kurzfristig, anhand von Messungen gut vorhergesagt werden.
Als recht zuverlässige Vorhersagewebseite hat sich Solarham.net mit aktuellen Sonnenwindvorhersagen der NASA erwiesen. Denn elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes die auf Sauerstoff- und Stickstoffatome in den oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen, erwecken das Nordlicht zum Leben. In den Modellen sieht man regelrechte Eruptionen der Sonne und Schätzungen, an welchem Tag und sogar um welche Uhrzeit dieses Plasma vorraussichtlich das Magnetfeld der Erde treffen wird. Dies gibt einem genügend Zeit, sich auf den eventuellen Moment vorzubereiten. Manchmal findet das Ereignis aber auch mitten am Tag statt; nur dass es zu hell ist um es wahrzunehmen. Kommt es zu einem großen koronalen Massenauswurf (CME) der Sonne, können wir oft mehrere Nächte hintereinander Nordlichter beobachten. Ob es gerade im Moment Nordlichter gibt, kann ohne nach draussen zu gehen den Messungen der Station der Universität Islands (HÍ) entnommen werden. In Leirvogur werden den Variationen im Magnetfeld Aufmerksamkeit geschenkt und mit Datenupdates im 10-Minuten Takt der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Ist die Linie in den Diagrammen gerade, deutet dies auf fehlende Aktivität hin. Wird die Linie unruhig, sollte man einen Blick in den Himmel werfen.
An einer Aurora kann man sich nicht satt sehen, denn jede ist anders. Am Häufigsten sieht man einen grünen oder weißlichen Schleier (diffuse Fläche) oder einen Bogen der entweder fast statisch sein kann sich aber auch in einer Art Schlängellinie bewegen kann. Seltener sind ringförmige Strahlen die einer Explosion am Himmel gleichen. Regt das Plasma der Sonne Sauerstoffatome in ca. 100 km Höhe über der Erde an, entsteht das grüne Licht. Passiert das gleiche in ca. 200 km Höhe mit sehr viel Energie, sind es überwiegend Stickstoffatme die zum Einsatz kommen und dann violettes und sogar blaues Licht erzeugen.
Die Farbwahrnehmung kann auch zwischen Individuen sehr unterschiedlich sein, da das menschliche Auge in der Dunkelheit Farben generell nicht gut wahrnehmen kann. Ist man sich nicht sicher ob es das Nordlicht ist was man da am Himmel sieht oder vielleicht doch nur Wolken, setzt man am Besten eine Spiegelreflexkamera ein. Denn wo das Auge an seine Grenzen kommt, bündelt die Kamera das Licht aus der Umgebung über eine gewisse Zeit und lässt es stärker erscheinen. Sie werden überrascht sein, was sich dort direkt vor Ihren Augen am Himmel abspielt: oft sieht man deutlich ein grünes Band auf dem Display. Hat man nach einer Testaufnahme die Aurora einmal gesichtet, fällt es auch dem Auge leichter, das Nordlicht vom Hintergrund zu differenzieren. Wenn man Glück hat, werden aus diesen diffusen Strukturen mit der Zeit kräftige, sich bewegende Formen.
Zur Photographie sollte man ein stabiles Stativ zur Vermeidung von Erschütterungen verwenden und die Kamera auf „manuell“ (also nicht auf Autofokus) und auf unendlich stellen. Je nach Umgebungslicht kann man mit dem ISO-Wert spielen. Manchmal reicht ein ISO von 800; andere nehmen lieber 3200 oder sogar höher. Wichtig ist auch die Einstellung der Verschlusszeit und das Licht „sammeln“ zu können. Hier kann man z.B. mit 10 Sekunden beginnen, sollte aber unter einer Minute bleiben, da ansonsten Sterne aufgrund der Erdumdrehung als Linie erscheinen. Die Blende sollte so offen wie möglich eingestellt werden.
Ob nun bei der Beobachtung tolle Bilder entstehen oder ob Sie einfach nur über die unfassbar schöne Naturerscheinung staunen: ich würde es Ihnen dieses Erlebnis wünschen und hoffe, dass Sie mit diesen Hinweisen erfolgreich sein werden. Sollte es Ihnen dennoch nicht gelingen, bietet die Harpa-Konzerthalle im Zentrum von Reykjavík einen schwachen Trost mit ihrer allabendlichen Nordlichtimitation an der Glasfassade.
Ein Text von Anne Steinbrenner
Photo oben von Sigmundur Andrésson