Geheimsnisvoll, einsam und abgelegen: dieses Bild hat man von dem “anderen Island”, den Westfjorden. Nur durch einen schmalen Landhals mit dem Festland verbunden, werden die Westfjorde als unwegsam und zeitraubend deklariert und von den meisten Islandreisenden ausgelassen. Während fast alle anderen Regionen wachsende Besucherzahlen verzeichnen, sind die Zahlen in diesem Jahr zu ersten mal rückläufig. Doch wir fragen uns: liegt denn hier nicht sogar die wahre Qualität dieser Region?
Wir haben uns zu dritt Mitte September auf den Weg gemacht und uns einige Gegenden näher angesehen. Vorstellen möchten wir in diesem Beitrag die Region Strandir, einen Teil der langen Ostküste der Westfjorde.
Fazit: wir waren von der Authentizität, der ehrlichen Art der Einwohner sowie der Wildheit der unendlich weiten Fjordlandschaften begeistert!
Vom Hotel Laugarhóll im Bjarnarfjörður beginnen wir die Fahrt noch weiter in den Norden, immer an der Küste entlang. Die unbefestigte Straße 643 stellt uns auf eine Geduldsprobe: sämtliche Schlaglöcher Islands scheinen sich hier versammelt zu haben. Dennoch keines so tief, dass wir mit unserem Auto, einem recht niedrigen Kia Ceed aufsetzen. Hoch und runter geht es auf der Küstenstraße, auf der wir streckenweise nur 20 km/h fahren dürfen. Eine Blindkuppe reiht sich an die andere und stellenweise finden wir uns direkt neben einem Abhang wieder. Doch die Landschaft entschädigt für alles! Die Neugier auf immer neue Einlicke auf die von Treibholz übersähten Küsten, charakterstarke Felsen im Meer und wolkenverhangenden Berge treibt uns immer weiter gen Norden. Auf dem Pass zwischen den beiden Fjorden Veiðileysa und Reykjarfjörður geraten wir in dichten Nebel. Weiter unten lichtet sich der Nebel wieder und wir erahnen das Dorf Djúpavík (die „tiefe Bucht“): ein weltfremder Farbkleks am Fuße der Berge.
Nur drei Menschen leben das ganze Jahr über in Djúpavik. Die Betreiber des Hótels Djúpavík Ásbjörn und Eva, die selbst ganz bescheiden in einem der Hotelzimmer wohnen und ihr Schwiegersohn Magnus, der mit uns einen Kaffee trinkt. Er ist selbst in Garðabær aufgewachsen, einer Stadt im Hauptstadtgebiet und lebt nun am Ende der Welt. „In der Hauptstadt rühren sich die Leute kaum wenn die Bürgersteine vollgeschneit sind. Alle regen sich nur auf, wenn nicht sofort früh am Morgen die Schneeräumfahrzeuge kommen. Hier müssen wir oft selbst die Initiative ergreifen. Überhaupt jedes bisschen Service ist hart erkämpft.“ Er erzählt auch von einer großen Familie, die den täglichen Kampf aufgegeben hat und erst vor kurzem weggezogen ist. Magnus denkt aber noch lange nicht ans Aufgeben, auch wenn seine drei Töchter weit weg in der Nähe von Reykjavík wohnen. Ganz im Gegenteil: das Hotel nimmt nun auch im Winter Gruppen auf und bietet aktiv Schneemobiltouren an, die vor allem bei Isländern gut ankommen. Naja, so ganz abgeschnitten ist man durch das Internet ja auch nicht: Bulldogge Sóley hat sogar Ihre eigene Instagram-Seite.
Wir begeben uns auf einen Rundgang durch die ehemalige, überdimensionierte Heringsfabrik, die wohl in einem Anflug von Optimismus gebaut wurde und bis 1944 auch einige sehr erfolgreiche Jahre erlebte. Damals war diese Fabrik eine der modernsten in ganz Europa mit herausragender Technik. Ein Teil der Arbeiter wohnte in einem Dampfschiff gleich neben der Fabrik, was als Geisterschiff am Strand vor sich hin rostet. Als die Fische nach 1950 ausblieben, zogen immer mehr Leute weg bis der Ort in den 80er Jahren sogar ganz menschenleer war. Vom Hotel werden nun täglich zwei Führungen in die alte Fabrik angeboten wobei die Blütezeit des Ortes wieder lebendig gemacht wird. Die isländische, mittlerweile weltbekannte Band Sigur Rós ist hier schon aufgetreten. Fotografen können sich zwischen den Betonbauten stundenlang austoben: die Motive drängen sich regelrecht auf!
Wir sind weit gekommen aber dies reicht uns noch nicht. Wir wollen am Ende des Straßennetzes im legendären Schwimmbad Krossneslaug baden, welches von einer natürlichen heißen Quelle gespeist wird. In atemberaubener Landschaft umrunden wir den Fjord und kommen nach Gjögur wo es einen kleinen Flugplatz gibt der für die Bevölkerung eine wichtige Rolle spielt. Wenn im Winter die Gemeinde Árneshreppur zeitweise vom restlichen Island abgeschnitten ist, sind die Flüge, die im Winter zweimal pro Woche angeboten werden, die einzige Möglichkeit die Region zu verlassen. In Gjögur wurde früher Haifischfang betrieben. Heute finden wir nur zahlreiche, mehrfach geflickte Wellblechbaracken, die schon einen gewissen Charme austrahlen.
Der Strandavegur (noch immer 643) führt uns um den markanten Berg Reykjaneshyrna. Bei Árnes oder auch Trékyllisvík halten wir kurz am kleinen Handwerskladen “Kört” (Minja- og handverkshúsið). Kurze Zeit später finden wir uns in Norðurfjörður wieder: der nördlichsten Siedlung der Region. In dieser Abgeschiedenheit findet man dennoch einen Zeltplatz, ein Gästehaus, einen Lebensmittelladen und ein Café. Hier hört man bereits den Ruf der nördlichsten Halbinsel der Westfjorde: den Hornstrandir. Dieser Landesteil ist im Winter völlig unbewohnt und einige Teile der Hornstrandir sind nur mit dem Boot zu erreichen.
Dann endlich das Ziel unserer Reise: das Schwimmbad am Ende der Welt. An einem Berghang und vor dem weiten Atlantik gelegen, sieht dieses Bad nach den Erkundungen des Tages mehr als einladend aus! Aus den heißen Quellen Krossneslaugum fließt hier unablässig frisches, warmes Wasser in den Pool. Die Aussicht und die Atmossphäre sind unbeschreiblich! Nur durch einen Steinstrand vom Meer getrennt, blickt man hier auf den scheinbar unendlichen Ozean. An dieser Stelle möchten wir auch die Sauberkeit des Bades betonen, welches übrigens schon in den 50er Jahren gebaut und eingeweiht wurde. Der Eintritt kostet 500 ISK, die in einer Art Briefkasten in den Umkleidekabinen zu entrichten sind – alles auf Vertrauensbasis versteht sich. Dafür darf man die Toiletten und Duschen benutzen.
Die Region Strandir können wir unseren Reisenden nur empfehlen. Wie ein Ausflug in eine vergangene Zeit, keimt Bewunderung für die Menschen auf, die sich für ein Leben ohne moderne Annehmlichkeiten entscheiden. Einen Dettifoss oder einen Geysir findet man in Strandir zwar nicht, aber dafür ist die Landschaft durchweg herrlich mit hunderten, namenlosen Wasserfällen, einsamen Stränden und Seevögeln. Hier kann man sich noch frei und unbeschwert abseits der Hauptattraktionen bewegen, die klare Luft atmen und sich als Individuum wahrnehmen.
Text und Fotos: Anne Steinbrenner
Zu unserer Mietwagenreise in die Westfjorde mit der Region Strandir gelangen Sie hier!
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