Mir dreht sich fast der Magen um, während ich mein köstliches Mousse au Chocolat zu verspeisen versuche. Denn mir gegenüber sitzt mein Kollege Þorgrímur und blickt verzückt auf den Berg auf seinem Teller – Würfel aus fermentiertem Grönlandhai. Der Gestank ist überwältigend. Ich rücke ein Stück ab. Schließlich bin ich keine gebürtige Isländerin, da darf ich das. Mit etwa zwei Meter Abstand kann ich dann auch meinen Pudding halbwegs genießen.
Wir sind beim Þorrablót, einem der isländischsten Feste überhaupt. Nach einem langen Winter waren in alter Zeit im Februar oft die Lebensmittel knapp geworden. Dann mussten sich die Isländer mit dem behelfen, was sie über den Winter gerettet hatten. Dabei gab es nur begrenzte Möglichkeiten zur Haltbarmachung von Speisen. Der Hai wurde im Sand vergraben, damit der giftige Harnstoff Zeit hatte, sich in Ammoniak umzuwandeln – daher der beißende Geruch. Anderer Fisch konnte getrocknet werden, Fleisch geräuchert. Oder man legte das Fleisch in große Molkefässer ein, die Milchsäure konservierte das Fleisch. Ein Sagaheld konnte sogar in einem der riesigen Molkefässer versteckt seinen Häschern entkommen, so heißt es. Sauer eingelegte Speisen wie beispielsweise Widderhoden sind dann auch eine Leckerei, die auf keinem Þorrablót fehlen darf.
Man kommt zum Þorrablót gewöhnlich elegant herausgeputzt im Bürgerhaus zusammen und trifft Nachbarn und Vereinskameraden. Manchmal werden auch Anekdoten aus dem vergangenen Jahr vorgetragen, Spottgedichte zu Ereignissen aus der Region aufgesagt oder bestimmte Personen öffentlich geneckt. Auch Musikeinlagen sind beliebt. Und natürlich werden Neuigkeiten ausgetauscht, wie es sich für ein Fest eben gehört. Und dann heißt es „Skál“ – „Prost“ und es wird mit Brennivín, dem 42 %igen einheimischen Kartoffelschnaps angestoßen.
Zwischendurch wird immer wieder das Buffet geplündert. Leber- und Blutwurst, gerne mit Milchreis und Zucker und Zimt gegessen, schmecken tatsächlich erstaunlich gut. Trockenfisch und abgesengte Schafsköpfe dürfen ebenfalls nicht fehlen. Nicht zu vergessen die erwähnten sauer eingelegten Widderhoden, Schlachtwurst und Sülze. Auch im Supermarkt werden zur Zeit des „Þorri“ -ein alter Wikingermonat, der in etwa unserem heutigen Februar entspricht- die althergebrachten Speisen für die Zubereitung zu Hause angeboten. Wem das alles doch etwas zu traditionell ist, der sollte auf Fladenbrot (flatkökur) oder Skyr, ein leckeres isländisches Magermilchprodukt, ausweichen.
Sollten Sie einmal in Island zu einem Þorrablót eingeladen werden, kann es gut sein, dass man einen Teller voller Leckereien vor Sie hinstellt. Dann sollten Sie lieber nicht zu lange darüber nachdenken, was sich dort alles im Detail verbergen könnte. Meist kommt die harmlos wirkende Frage: „Und – schmeckt es?“ Und auf ein höfliches: „Ja“ folgt dann in der Regel: „Weißt du eigentlich, was du da isst?“
Spätestens in diesem Moment hat man als Ausländer am besten urplötzlich ein eiliges Telefonat zu führen – zumindest wenn man in Essensangelegenheiten zart besaitet ist.
Hotels und Restaurants in Island bieten in der Regel nur auf Wunsch traditionelle Speisen an. Ansonsten ist die leckere isländische Küche mit Fisch- und Fleischgerichten sowie zunehmend auch mit vegetarischen Varianten ein Gaumenschmaus, der wenig Experimentiervermögen erfordert.
Text und Fotos: C.B.