November 10, 2025

Torfhäuser – architektonisches und kulturelles Erbe der Isländer


 

Wenn man zum ersten Mal nach Island reist, fällt einem bald auf, dass es hier nur sehr wenige alte Gebäude gibt. Man findet keine Renaissancebauten, keine mittelalterlichen Burgen oder barocken Schlösser. Eines der ältesten Gebäude ist der aus Stein errichtete Regierungssitz in Reykjavík, der 1771 als Gefängnis gebaut wurde. Die meisten älteren Wohnhäuser stammen aus dem 19. Jahrhundert, bunte Holzhäuser, oft zum Schutz vor Korrosion mit Wellblech verkleidet.

Warum ist das so? Wir wollen uns auf Spurensuche begeben.

Die ersten Siedler

Es war in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, als sich die aus Norwegen und Schweden kommenden Wikinger in Island niederzulassen begannen. Da es sich um eine weitgehend unbewohnte Insel handelte, gab es natürlich weder Mietwohnungen noch AirBnB. Die Menschen brachten daher aus ihren Heimatländern nicht nur ihre Familien, Vieh und Vorräte mit, sondern auch ihre Holzhäuser oder zumindest das Baumaterial dafür. Es handelte sich um sogenannte Langhäuser, der für das damalige Skandinavien typische Baustil – langgestreckte Gebäude mit einem großen Wohnraum für die ganze Familie samt Gesinde und einer Feuerstelle in der Mitte. Die Wirtschaftsgebäude wie Ställe und Vorratskammern wurden ringsum errichtet.

Wo sind die Bäume hingekommen?

Zum damaligen Zeitpunkt war Island zwar gut bewaldet, aufgrund der klimatischen Verhältnisse und des vulkanischen Bodens konnten aber nur wenige Baumarten gedeihen, die am weitesten verbreitete Art war die Birke. Nun benötigten die Siedler Feuerholz zum Heizen und Holzkohle um Eisen zu schmelzen, man brauchte Platz für Weideflächen und Stämme zum Hausbau. Daher wurden zuerst die guten, großen Bäume geschlagen, sodass im Laufe der Zeit nur mehr die kleinen, krummen ihr Erbgut weitergeben konnten.

Diese kleinen Gewächse konnte man nur sehr bedingt für den Hausbau verwenden. Dennoch wurde fleißig weiter abgeholzt. Was dann passierte, ist nicht schwer zu erraten – man sieht die Auswirkungen bis heute: das Vieh graste und knabberte dabei jeden kleinsten Schössling ab, Wind und Wetter erschwerten es den kleinen Bäumchen, sich wieder zu vermehren, ebenso wie regelmäßige Vulkanausbrüche. Etwa 200 bis 300 Jahre nachdem der erste Siedler seinen Fuß auf isländischen Boden gesetzt hatte, war nur mehr verkrüppeltes Birken- und Weidengestrüpp zu finden, aber weithin war Island fast völlig kahl geworden und die Erosion – Wind, Wasser, Eis – hatte leichtes Spiel.

Eine schwere Zeit für die Isländer

Zurück zu den Häusern: Holzhäuser halten – vor allem unter diesen extremen Wetterbedingungen – nicht ewig. Immer wieder wurde geflickt und ausgebessert, im Wesentlichen unter Verwendung der vorhandenen Materialen, aber irgendwann war Schluss – es gab kein Bauholz mehr!

Doch das war nicht alles, was die Isländer plagte: ab dem 15. Jahrhundert begannen die sogenannten „dunklen Jahrhunderte“.

Nachdem Island Ende des 14. Jahrhunderts eine dänische Kolonie geworden war, wurde im Jahr 1602 ein Handelsmonopol installiert – die Isländer, die zuvor regen Handel mit den Engländern und der deutschen Hanse getrieben hatten, durften von nun an nur mehr mit dänischen Kaufleuten Handel treiben. Diese kontrollierten damit sowohl die Qualität der Waren als auch deren Preise. Viele Importwaren wie z.B. Getreide waren teuer und von schlechter Qualität, die Preise für die Hauptexportgüter wie Wolle und Fischprodukte waren niedrig.

Im 15. Jahrhundert kam es zu zwei Pestepidemien, denen mehr als ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer fiel. Gleichzeitig begann die sogenannte „Kleine Eiszeit“ – das Klima wurde kälter, was zu schlechten Ernten und Hungersnöten führte. Getreide wurde nun nicht mehr angebaut und in der Viehzucht setzte man vermehrt auf die genügsameren Schafe anstatt der anspruchsvolleren Kühe.

Im 18. Jahrhundert führte der Ausbruch der Lakikrater zu Missernten und einer beispiellosen Hungersnot, Haustiere verendeten, Vegetation wurde zerstört und Teile des Landes waren unbewohnbar geworden. Schwere Erdbeben erschütterten die Insel und eine Pockenepidemie raffte einen Teil der Bevölkerung dahin. Man schätzt, dass in diesem Zeitraum die Einwohnerzahl um gut 10.000 auf etwa 40.000 Einwohner sank.

Island war ein bitterarmes, isoliertes Land geworden. Während in Europa Burgen und Schlösser errichtet wurden, kämpften die Isländer um ihr Überleben.

Harte Arbeit und wenig Lohn

Machen wir einen kurzen Seitenblick auf die soziale Struktur zur damaligen Zeit. Island war eine bäuerliche Gesellschaft. Der überwiegende Teil der Ländereien war im Eigentum einiger weniger, reicher Großbauern, der Kirche oder der Krone. Etwa 90% der Bauern waren Pächter auf fremdem Grund. Wer aber keine Mittel hatte, um einen Hof zu pachten, musste sich als Knecht oder Magd verdingen, meist für ein Jahr, und dann wanderte man weiter an den nächsten Hof. Man arbeitete für Kost und Logis, nur männliche Arbeiter erhielten manchmal auch etwas Lohn ausgezahlt. Etwa ein Drittel aller Isländer gehörte dieser Klasse an und hatte so gut wie keine Rechte und kaum Aussichten auf eine eigene Behausung oder gar die Gründung einer Familie. Wer nicht arbeitsfähig war, musste als sogenannter „Gemeindearmer“ von der Gemeinschaft erhalten werden.

Die Torfhäuser

Wie baute, lebte und wohnte man zu dieser Zeit und bis ins 19. Jahrhundert?

Wie bereits erwähnt, gab es kaum Holz mehr und man musste sich etwas einfallen lassen:

Getrocknete Grassoden (das isländische Wort dafür ist „torf“) wurden zum wichtigsten Baumaterial. Die Grasziegel wurden mitsamt Wurzeln und Erde abgestochen, getrocknet und in kunstvollen Fischgrätmustern zu stabilen Wänden aufgeschichtet. Diese Grassoden dienten auch der Wärmeisolation und waren – bei richtiger Verarbeitung – wasserdicht.

Das Fundament dieser Häuser bestand aus Lavabrocken. In der Höhe und Ausformung dieser Grundmauern spiegelt sich die Lage des jeweiligen Gebäudes wider – wo es viel Lava gab, waren die Steinmauern höher, wo es wenig Lava gab, wurde mehr Torf verwendet.

Als Gerüst dienten Holzpfosten und Latten. Wer es sich leisten konnte, importierte diese, ansonsten verwendete man vorhandenes Material oder Treibholz, das es in Island in großen Mengen gibt – es wird aus Sibirien und Skandinavien angeschwemmt. Die Oberschicht konnten es sich leisten, die Wohnräume innen mit Holz zu verkleiden, auch dafür wurde oft Treibholz verwendet.

Da Feuerholz mittlerweile zur Mangelware geworden war, wurden die Häuser und Räume kleiner und niedriger, um das bisschen Wärme, das die menschlichen Körper abgaben, bestmöglich zu nutzen. Oft schliefen zwei oder mehr Personen in einem Bett, um sich gegenseitig zu wärmen. Manchmal baute man die Wohnräume auch oberhalb der Ställe, um die Körperwärme des Viehs zu nutzen.

Zu Beginn lagen die Wirtschaftsräume noch außerhalb, aber bald hatte man die Idee, diese mit dem Wohnhaus durch Gänge zu verbinden – so entstand der typische isländische „gangnabær“ – das Ganggebäude, ein Konglomerat aus mit Gängen verbundenen Wohnräumen, Wirtschaftsräumen und Vorratskammern. Waren die alten Torfgebäude noch geduckte, fast mit der Landschaft verschmolzene, grasbewachsene Häuschen, setzte sich später unter den reichen Grundbesitzern die Giebelbauweise durch – das erlaubte auch den Einbau von Glasfenstern.

Bequem ist anders

Wie lebte es sich in einem dieser Torfhäuser? Schauen wir, was eine im 19. Jahrhundert in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene Wienerin, die bemerkenswerte Weltreisende Ida Pfeiffer, dazu im Jahre 1845 zu sagen hat – damals reiste sie nämlich nach Island und auf Ihren Ausflügen zu den Naturwundern der Insel wurde ihr die Gastfreundschaft der Isländer zuteil:

„Man sperrte mir das beste Gemach, die Vorrathskammer auf, und stellte da eine kleine hölzerne Truhe zu meiner beliebigen Verfügung. Dergleichen Kammern finden sich glücklicherweise überall, wo einige Kothen beisammen stehen; doch sind sie nichts weniger als einladend, da die getrockneten Fische, Thran, Talg, und weiß der Himmel was noch für andere Artikel eine schreckliche Atmosphäre verursachen, – und dennoch ziehe ich sie bei weitem den Wohngemächern der Bauern vor, die, nebenbei gesagt, das Ekelhafteste sind, was man sich vorstellen kann. Nebst allen denkbaren üblen Gerüchen herrscht da ein Schmutz, und in Folge dessen ein Überfluß an Ungeziefer, dass es höchstens bei den Grön- und Lappländern noch ärger sein kann.“

Ida war von ihren Reisen so einiges gewöhnt – und hatte bestimmt nicht übertrieben. Streng riechende Lebensmittel, Fischöl in den Lampen, Nachttöpfe, das im angrenzenden Stall befindliche Vieh und die mangelhafte Hygiene erfüllten die Häuser mit einem unsäglichen „Duft“.

Die Räume waren dunkel, kalt, feucht und beengt. Fensterglas konnten sich nur reiche Isländer leisten, meist fand man nur mit Tierhaut bespannte Oberlichten. Der einzig warme Raum war die Küche, dort war die Feuerstelle – aber dort gab es auch viel Rauch. Zum Feuermachen wurde übrigens getrockneter Schafsdung oder Torf verwendet. Die Feuchtigkeit und die Kälte in den Häusern waren der Nährboden für viele Krankheiten, Tuberkulose war zum Beispiel weit verbreitet.

Ein Badezimmer als Wohnraum

Doch nun zur Baðstofa – dem „Badezimmer“. Was hat es damit auf sich? Ursprünglich – als es noch Holz gab – zog man sich in das Badezimmer zurück um sich aufzuwärmen. Das war natürlich kein Badezimmer im heuten Sinn – keine Regenbrause oder Handtuchwärmer. Man machte in einem dafür vorgesehenen Raum Feuer, legte Steine darauf und besprenkelte diese mit Wasser – ja, genau, das war der Vorgänger unserer Dampfkammern. Dorthin zog man sich zurück um sich zu entspannen.

Während das Feuerholz langsam zur Neige ging, entwickelte sich die Baðstofa mehr und mehr zum gewöhnlichen Aufenthaltsraum der Bewohner – bis sie schließlich zum – nun nicht mehr beheizten – Hauptwohnraum wurde. Die Betten, oft vier, sechs oder acht, waren meist entlang der Längswände aufgereiht und dienten nicht nur zum Schlafen, sondern auch als Sitzgelegenheiten für die Winterarbeiten, wie zum Beispiel Wollverarbeitung, oder zum Essen. Hier erzählte man sich auch an den langen Winterabenden Geschichten von Elfen, Trollen oder Gespenstern. Tische und Stühle waren nicht weit verbreitet und das wenige Hab und Gut der Bewohner wurde in hölzernen Truhen aufbewahrt. Wenn man jetzt bedenkt, dass oft zwei oder drei Personen ein Bett teilten, wird einem bewusst, dass es in einem Torfhaus keinerlei Privatsphäre gab. Lediglich der Hausherr und seine Frau hatten mitunter einen durch eine Holzwand abgetrennten, eigenen Schlafraum.

Zu Besuch in einem Torfhaus

Es war also alles andere als gemütlich und bequem in diesen so niedlich aussehenden Häuschen. Aber warum finden wir heute in Island kaum mehr solche Gebäude?

Man kann sagen, dass Torfhäuser „lebendig“ waren. Sie wurden aus natürlichen Materialien errichtet, die nicht sehr widerstandsfähig sind, daher mussten sie regelmäßig erneuert oder instandgehalten werden, dabei wurde oft vorhandenes Material wiederverwendet und neues hinzugefügt. In Südisland, wo das Klima feuchter ist, war diese Instandhaltung aufwendiger als im Norden, wo ein trockeneres Klima herrscht. Die allermeisten Torfhäuser sind aber rasch verfallen, als man im späten 18. und 19. Jahrhundert vermehrt mit importiertem Holz baute und im 20. Jahrhundert Beton zum vorherrschenden Baumaterial wurde. Dennoch wurden manche dieser Häuser sogar bis in die 1970er-Jahre bewohnt.

Einige wenige sind erhalten geblieben und sind es wert, besucht und besichtigt zu werden.

Am bekanntesten ist wohl Glaumbær im Skagafjörður, das wahrscheinlich von den isländischen Entdeckern Þórfinnur Karlsefni und Guðríður Þorbjarnardóttir gegründet wurde, als sie im 11. Jahrhundert aus Amerika zurückkehrten, das kurz zuvor von Leifur Eiríksson entdeckt worden war. Guðríður war übrigens eine bewundernswerte Frau, die über Grönland nach Amerika reiste, zurück nach Island, danach nach Rom und wieder zurück nach Island, wo sie sich als Einsiedlerin nach Glaumbær zurückzog. Wahrscheinlich gab es keine zweite Frau zu dieser Zeit, die so weit gereist war. Außerdem brachte sie vermutlich das erste europäische Kind in Amerika zur Welt.

Die heutigen Gebäude von Glaumbær variieren im Alter, die ältesten Teile stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein ziemlich großes Gehöft mit 13 Räumen. Als 1952 die letzten Bewohner auszogen, kam Glaumbær in die Gebäudesammlung der Skagfirðingar und ist heute als Museum zugänglich.

Nicht minder interessant ist ein Besuch in Laufás am Eyjafjörður. Die dortigen Bewohner hatten das Recht, Eiderdaunen zu sammeln, die feinsten und wertvollsten Daunen der Welt. Eine aus Holz geschnitzte Eiderente sitzt auf einem der Dachfirste.

Auch Grenjaðarstaður im Aðaldalur ist unbedingt einen Besuch wert – es war, wie die beiden anderen ein Priestersitz, Laufás und Grenjaðarstaður sind das auch heute noch, wenn die jeweiligen Priester auch nicht mehr in den Torfhäusern, sondern in modernen Gebäuden am Grundstück leben. Grenjaðarstaður ist das größte noch erhaltene Torfgebäude und beherbergt eine überaus interessante Sammlung von unzähligen Gegenständen aus alter Zeit.

Wer nach Vopnafjörður kommt, sollte Bustarfell besichtigen, das schon in der Sagazeit als Häuptlingssitz bekannt war. Es ist seit Anfang des 16. Jahrhunderts von derselben Familie bewohnt, die jetzt in einem neuen Haus neben dem Museum lebt.

Wenn man diese Häuser besucht, darf man nie vergessen, dass es sich um die Wohnstätten reicher Leute gehandelt hat. Die Gebäude waren groß und gut eingerichtet, mit Holzböden und Tapeten an den Wänden der Wohnräume. Will man wissen, wie der durchschnittliche Isländer gelebt hat, besucht man zum Beispiel Sænautasel in Ostisland, das Halldór Laxness angeblich als Vorlage für das Haus von Bjartur in seinem Roman „Sein eigener Herr“ gedient hat. Rund um Island gibt es noch einige weitere Torfgebäude, so zum Beispiel die kleine Viðimýrarkirkja und die Kirche von Gröf im Norden oder die Kirche von Hof in Öræfi in Südisland. Auch im Árbæjarsafn in Reykjavík, einem Freilichtmuseum, kann man Gebäude verschiedenen Alters besichtigen.

Vieles könnte man noch erzählen über das Leben und Überleben der Isländer auf ihrer von Wind und Wetter gepeitschten Insel im hohen Norden, über ihre Ernährung, ihre Nutztiere, die bäuerlichen Verrichtungen, Volkssagen oder die Religion. Aber das wird wohl Thema eines eigenen Blogartikels werden.

Text: Renate Kienbacher